Die Schwere Not

Ivan Gončarov

Die Schwere Not


Eine Erzählung aus Sankt Petersburg im Jahre 1838. Hrsg. u. übers. v. Peter Urban, illustr. von Horst Hussel, Wolffs Broschur.
2. Auflage, 104 S., 18,2 cm
Friedenauer Presse 2020-
Br. 16,00 EUR


Die Schwere Not, die epidemisch fortschreitende Krankheit, welcher der besorgte Erzähler und Dauergast der kultivierten Petersburger Familie Zurov seinen vertrautesten Umgang opfern muss, ist nichts anderes als die exzessive Landlust.

Mit dem aufkeimenden Frühjahr nämlich pflegt der Familienverbund in eine Verzückung zu geraten, entgleisende Gesichtszüge, unspezifisch verrenkte Gliedmaßen kündigen die Entrückung ins Ländliche an, dessen Ruf (die Aussicht! die frische Luft!) sich vom Professor über die Nichte bis zur halbgelähmten Großmutter kein Mitglied des engeren Kreises entziehen kann. Da ist kein Halten mehr, man wird nicht müde, Routen auszuhecken, Picknickbesteck zu verstauen und auszuschwärmen in die unberührte Natur.

Kaum aber ist die Erregung gestillt, die Gesellschaft durchnässt, hinkend und dürstend wieder daheim, rüstet man sich zur nächsten Attacke auf Berge, Küsten und Schluchten zu. Ein Ungemach jagt das nächste, heizt die Wildentschlossenen nur an und hinterlässt gegen Ende der Saison ein ausgemergeltes und dezimiertes Häuflein Elend, das sich auf dem Gipfel des Genusses wähnte, wären da nicht noch unwirtlichere Gipfel in Sicht.

Dem besorgten Erzähler bleibt nichts, als die sonst traute Runde mit schreckgeweiteten Augen zu fliehen und dem Familienfreund Tjazelenko beizupflichten, welcher – als überzeugter Dauerbewohner seines Bettes vor Ansteckung gefeit, ein Vorgänger des Oblomov – der rastlosen Gesellschaft längst die Diagnose gestellt hat.


Horst Hussel, 1934 in Greifswald geboren, war Zeichner, Grafiker, Illustrator und Schriftsteller. Er gestaltete seit den 1980er Jahren die Umschläge der Friedenauer Presse. Er starb 2017 in Berlin-Pankow.