Das dreizehnte Kapitel

Martin Walser

Das dreizehnte Kapitel


272 S., 205 mm
Rowohlt Verlag 2012
Geb. 19.95 EUR
Tb. 9,99 EUR


Gegen Ende dieses Jahres 2013 möchten wir noch einmal zurückgreifen auf eine Ausnahme-erscheinung aus dem vorigen Herbst: nicht nur, weil Walser der Verletzlichkeit seiner Figuren in jener Blößen nicht scheuenden Form der peinlichen (Selbst-)Befragung nachspürt, wie er sie schon andere Male pirouettenreich vorzuexerzieren verstanden hat. "... die Form muss gewahrt werden, so lange es geht, dann aber nicht mehr" - dies Selbstzitat aus seinem Erfolgsbuch "Strandhafer", das der Erzähler - er ist Schriftsteller - der Adressatin seiner Briefe (Theologin, jünger) unterbreitet, steht am Anfang eines von ihm provozierten Austauschs, der sich infolge einer ersten distanzierten Begegnung bei offiziellem Anlass entspinnt, einer zunächst einseitigen Versuchung entsprungen: "Diese flammenhaft aufschießende Illusion, ich könne mich an Sie wenden."

Ihre skeptische Zurückhaltung verbindet sich bald mit seinem alle Register ziehenden Taktieren zu einem von Mal zu Mal dringlicheren, dann beiden unentbehrlichen Briefwechsel, der, getragen von leidenschaftlicher Intensität, von der suggestiven Kraft der Entgrenzungen und Zumutungen, von Verstandes- und Geständnis-lust, den Verrat an den Ehepartnern einschließt. An ein persönliches Treffen ist nicht zu denken; weniger wäre es eine Gefährdung der bestehenden Verhältnisse als jener schweben-den Perspektive, deren Aussichtslosigkeit Teil der heiklen Verabredung ist. Mit einer sehnlich erwarteten Nachricht - der letzten - zerfällt, was nur zerfallen kann.

Die meisten leiden ohne Gewinn, heißt es in Walsers Briefroman, der ebendiesen Satz widerlegen will. Auf schwindelerregende Weise kreist er um Potentiale, die, wenn nicht lebbar, doch zugehörig, unverzichtbar sind. Walsers Beschäftigung mit der Dialektischen Theologie Karl Barths nimmt in diesem bestechenden, Höhen und Tiefen auslotenden Plädoyer für ein tief empfundenes Leben ohne Hoffnung auf Hoffnung, eine Liebe ohne Versprechen literarisch glaubhaft und betörend Gestalt an.